«Une Jeunesse Allemande» - Gewalt als Doku-Thema
Der Titel klingt nach einem harmlosen Film übers Erwachsenwerden, es geht aber um eines der härtesten Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte.
Die Doku «Une Jeunesse Allemande - Eine deutsche Jugend» zeichnet über gut 90 Minuten die Radikalisierung von Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Co. hin zur RAF, der Roten Armee Fraktion, nach.
Viele Filmemacher haben sich bereits den Geschehnissen des Deutschen Herbstes 1977 gewidmet, also etwa der Ermordung von Hanns Martin Schleyer oder der Entführung des Lufthansa-Flugzeugs Landshut.
Dazu gehörte zuletzt Regisseur Uli Edel in der Bernd-Eichinger-Produktion «Der Baader Meinhof Komplex». Doch während dieses Werk von 2008 in der Anmutung eines Actionfilms daherkam und bisweilen mit dem Etikett «Popcorn-Kino» («Stern») versehen wurde, ist «Une Jeunesse Allemande» alles andere als Mainstream.
Hart schneidet der französische Filmemacher Jean-Gabriel Periot, geboren 1974, Originalaufnahmen von damals an- und auch gegeneinander. Gleich zu Beginn etwa so: Gerade noch wird das Arbeiter-Kampflied «Die Internationale» geträllert («Die Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht!»), bevor man unvermittelt Nazis marschieren sieht. Über längere Strecken bleibt die Leinwand schwarz; zu hören sind dann nur Tonaufnahmen, etwa die länglichen Ausführungen von Ulrike Meinhof während ihres Stammheim-Prozesses.
«In meiner Recherche über die RAF habe ich über tausend Stunden Archivmaterial gesichtet», schreibt Periot in seinem Regiekommentar. «Mit meinem Film hole ich diese Bilder aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart und organisiere sie neu zu einer subjektiven Montage.»
Periot will nach eigenen Worten nicht das Handeln der RAF-Terroristen erklären oder entschuldigen. Gleichwohl gibt er mit seiner Auswahl ein Gefühl für die gesellschaftlichen Hintergründe von damals. Er lässt die Gewalt der sogenannten Jubelperser gegen Demonstranten beim Schah-Besuch 1967 in Berlin ebenso wenig aus wie den Vietnamkrieg. Periot selbst kommentiert in seiner Doku nicht. Er lässt die Originalsequenzen für sich sprechen, in denen auch die RAF-Mitglieder zu Wort kommen.
«Une Jeunesse Allemande» ist ein Film über Gewalt, der die Frage aufwerfen soll, wie Gewalt zu vermeiden und zu verweigern ist. «Das Lehrstück in Radikalisierung und den gesellschaftlichen Reaktionen darauf ist beängstigend aktuell, wenn sich auch die Vorzeichen geändert haben», hieß es zur Uraufführung bei der Berlinale 2015.
Michal Kieffer
Ruhr Nachruchten
18. Mai 2015
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